Mädchenpensionat

Pensionat «La Romande» in Vevey im Jahr 1935


Brief von Gertrud an ihre Eltern

Bild: Gertrud Gürtler (re) im Mädchenpensionat «La Romande»
Gertrud Gürtler (re) im Mädchenpensionat «La Romande»

La Romande, Vevey, den 27. November 1935

Meine lieben Eltern & Kurtli
Schon wieder Mittwoch, also schon wieder näher der Heimreise entgegen. Wir machen am Samstag einen «soirée» «Herren und Damen»! Ich bin natürlich ein «Herr». Wenn wir Photo machen, werdet Ihr dann sehen, wie ich aussehe. Ich erlaube mir auch beiliegend zwei Polohemdchen und einen Photofilm zu schicken. Wäre es dir vielleicht, liebes Mami, möglich, sie mir auf den Samstag zu schicken?
Wir waren gestern auf der Messe. Ihr müsst Euch aber nicht eine Messe vorstellen wie in Basel; es hat nur einige Stände. Die rechte Messe war schon im Frühling. Aber wir hatten einen trotzdem den ganzen Nachmittag frei bekommen, das ist doch wirklich chic, was! Sobald wie möglich flüchteten wir uns in ein Tea Room, wo wir es und gemütlich einrichteten. Es war einfach rassig. Tee getrunken, «Gutzi» gegessen und Zigaretten geraucht! Um Fünf und Viertel mussten wir uns auf dem grossen Platz versammeln. Aber als wir dorthin kamen, waren noch nicht alle da, und so beschlossen wir, auf die «Rössliritti» zu gehen. Ja, auf die richtige mit Rössli und Säuli!!! Jetzt werdet Ihr lachen, wenn Ihr uns gesehen hättet. Wie wir uns auf dieser «Rössliritti» gelacht und uns amüsiert haben. Das hätte ich mir wirklich nie träumen lassen, dass ich noch einmal in meinem Leben auf ein «Rössli» sitzen würde. Das ganze Pensionat war darauf! Es war einfach herrlich. Etwa 5 mal wurden wir von jungen Burschen eingefangen! Stellt Euch mal vor, sogar die Lehrerinnen waren noch mitgefangen!! Einmal erwischten sie mich sogar allein. Aber sie waren sonst anständig, sonst würde ich ihnen schon den Meister gezeigt haben!
Solch einen Messenachmittag werde ich sicher nicht mehr so schnell erleben. Ich dachte mir, es ist doch wirklich schön in einem Pensionat, man hat schöne und lustige Stunden. Am Abend gingen wir noch ins Theater, es war ein Konzert; es ging bis 11 Uhr. Es gefiel mir sehr, nur störte mich die Bühne und das «Theater». Man kann es so schön schreiben!! Wenn man überhaupt noch einen Namen dafür findet. Es ist ein Orchester von 45 Mann. Aber jeder hatte ein Kleid an, das ihm passte. Der Eine hatte sogar ein braunes an! Also ich sage Euch, und die Stühle. Ich glaube bei uns auf dem Esterich hätten wir schönere!
Habt Ihr die Photo von «Gertus» erhalten? Im Susys schickte ich eine Karikatur von Rex hinten auf dem Brief. Auch unseren «alten Freund», den Stinkk..b, sahen wir gestern auch einge Male.
Seid Ihr alle gesund? Wie ich hoffen will. Mir ist wieder einmal der «Pfnüsel» treu. Aber nicht stark, er hat es im Sinn, sich bald wieder zu verziehen.
Am Samstag spendet uns übrigens Monsieur noch ein kaltes Buffet, auch machte er eine Spielecke. Ich freue mich sehr darauf.
Am Sonntag blieb ich den ganzen Nachmittag zu Hause: am Abend durften wir noch einmal tanzen. In der Stunde am Montag bei Monsieur summte eine Schülerin vor sich hin, und eine andere gähnte, da sagte er, wenn wir nicht mehr Interesse zeigen würden an seinen Stunden, würde er gehen und verliess das Zimmer. Wir sassen da, wie begossene Pudel. Um 10 Uhr gingen wir dann auf das Büro und entschuldigten uns bei ihm. In letzter Zeit ist er überhaupt charmant.
Was meint Ihr jetzt meine Lieben, wegen dem Mantel? Würde das gehen? Ich hätte gerne einen grauen Sportsmantel mit einem schönen Shawl und der nur hinten ein Stück Gurt hat. Oder was meint Ihr? Ich finde, das passt am besten zu mir. Ich könnte mich nicht mit einem haushohen Pelzkragen sehen oder vorstellen. Auch bin ich ja noch jung und kann noch lange solche Mäntel tragen, oder nicht? Aber ich will natürlich nur solch einen, der Euch gefällt.
Mein lieber Papi ist aber sicher auch damit einverstanden, und das liebe Mamilein auch.
Ich machte ein Gedicht von Papi und Rex, werde es Euch dann schicken. Jetzt muss ich dann schon an das Packen denken. Ich habe nur Angst, bis ich weiss, wo ich mit meinem Nachttischgrümpel hinwandern will. Hast du schon geträumt, was ich geschrieben habe, liebes Mamchen?
Nun erhaltet noch meine innigsten Grüsse und Küsse von Eurem dankbaren Strolchenmaitli.
Gerty
Auf Wiedersehen in 2 ½ Wochen!!!

Brief von Gertrud Gürtler an ihre Eltern, Vevey, 27. November 1935

Geschichte der Firma «Mimosa AG» in Dresden.
Link zum Fotohaus Cornaro, Vevey «fotoCH»


Pensionatszusammenkunft «Pensionat La Romande» im Hotel Schweizerhof Olten am 30. April 1972


Aus «Das fleissige Hausmütterchen»

Pflege des Geistes. Wahl der Lektüre.

Das Lesen gibt dir hiezu die allerbeste Gelegenheit, es gibt uns die Möglichkeit der Unterhaltung mit geistig höher stehenden Menschen, es kann uns über die Alltäglichkeit hinausheben; es kann uns aber auch in die Tiefe, in schlechte Gesellschaft führen. Der Lesestoff ist deshalb sorgfältig auszuwählen.

Gerade wie man einen Menschen, den man zum ersten Mal sieht, daraufhin prüft, ob der Verkehr mit ihm gut sein könne, prüfe man ein Buch, verschaffe man sich ein Urteil über den dahinterstehenden Schöpfer. Auf deinem Bücherbrett, im Bücherschrank sollen solche Bücher stehen, zu denen du in guten wie in bösen Stunden deine Zuflucht nehmen kannst. Betrachte sie als gute Freunde, mit denen du dich in einsamer Stunde unterhalten kannst, oder die du zu Feierabendstunde herbeiholst, um deiner Familie einen erhebenden oder fröhlichen Abend zu bereiten. Halte Zwiesprache mit ihnen, als mit edel gesinnten Menschen.

Der gebildete gute Geschmack ist auch wegleitend für den Theaterbesuch. Das Werk eines echten Dichters, auf der Bühne von guten Künstlern dargestellt, spricht eine eindringliche Sprache, ruft edler Begeisterung und kann nachhaltige, tiefe Eindrücke und Anregungen bringen und unser Leben im Guten bereichern.

Die Auswahl an guten Werken der Literatur ist freilich übergross, so dass ich es wohl wagen darf, dir einige wenige Beispiele zu nennen:
Da ist zuerst die Bibel, die leider vielerorts in Vergessenheit ein verstaubtes Dasein führt und so reich ist an lebendigen Schätzen!
Goethe, Schiller, Shakespeare bieten lauteres Gold in ihren Werken!
Auch einheimische Dichter sprechen zu unserem Volke. Lies die Erzählungen des lernhaften Jeremias Gotthelf, schliesse Freundschaft mit dem liebereichen Heinrich Pestalozzi. Ein treffliches Vorbild einer erziehenden Mutter gibt Gottfried Keller mit seiner Regula Amrein.

Lass deinen Geist nie einschlafen oder in den täglichen Anforderungen des Lebens untergehen. Halte ihn wach durch stete Übung, suche etwa durch das Mittel einer guten Zeitschrift zeitgenössische Dichter kennen zu lernen; auch unter ihnen wirst du liebenswürdige Freunde und führende Geister finden.

In stillen Stunden möchtest du dich wohl auch in Werke vertiefen, die ernste Lebensfragen behandeln, die deiner suchenden Seele Richtung geben können und wollen. Wer sucht der findet! Gute Lektüre, der Verkehr mit guten, gebildeten Menschen und Einkehr in dich selbst lassen dich auch hier am besten den richtigen Weg finden.

Sus. Müller, Das fleissige Hausmütterchen, Zürich Verlagsbuchhandlung Albert Zeller, 1925, Seiten 65 -66