Wie es damals war

Geschichten aus meiner Jugendzeit

Bild: Gertrud Ulrich-Gürtler an ihrem 100. Geburtstag
Gertrud Ulrich-Gürtler an ihrem 100. Geburtstag

Gerty Ulrich-Gürtler (*19. August 1918 †24. März 2020)

Anmerkung:
Gerty Ulrich-Gürtler schrieb diese Geschichten im Alter von ca. 85 Jahren mit einem Laptop, den sie sich kurz zuvor gekauft hatte. Sie wollte auch in ihrem Alter noch lernen, wie man mit einem Computer umgeht. Gertrud (Gerty) Ulrich-Gürtler arbeitete bis ins 93. Altersjahr als Kaufmännische Angestellte in einem sehr lebhaften Betrieb.

Es war einmal …

Damals Maria Gürtler-Baumann mit Kurt (auf dem Arm) und Gertrud
Maria Gürtler-Baumann mit Kurt (auf dem Arm) und Gertrud

Ich war mit meiner Familie im Kleinbasel aufgewachsen, in der Nähe des Rheins, an der Oetlingerstrasse Nr. 27, 1. Stock. Es war eine herrliche Zeit. Wir hatten zum Spielen eine grosse Terrasse und einen schönen Garten. Wir nannten ihn Höfli. Angrenzend war ein grosser Platz, der zu einer Schreinerei gehörte. Wir hatten viel Spielraum und konnten uns austoben.

Einmal kam Papi mit einem Güggel nach Hause, den er auf dem Andreas-Märt erstanden hatte. Man kann sich die Freude von Mami ausdenken!! Uns Kindern machte es auf alle Fälle Spass. Doch der war nur von kurzer Dauer, da der Vogel  einmal das Weite suchte und im Nachbarsgarten landete. Danach wurde nur noch vom Gürtlers Güggel gesprochen. Diese Geschichte erzählte ich später einmal in der Schule, und bis zum Austritt aus der Schule – und auch später noch – wurde ich von den Schulkameradinnen und teils von Lehrern Güggel oder liebevoll Güggeli genannt.

Mein Bruder Kurt

Damals: Kurt Gürtler
Kurt Gürtler

Kurt hatte in seinen Bubenjahren verschiedene Namen. Meine Eltern und die Grosseltern nannten ihn Kurtli. Für seine Spielgenossen und Schulkameraden war er der Kitschli. Ich aber gab ihm den Namen Biile! Und das hatte einen speziellen Grund.

Wie alle Jahre vor den Sommerferien hatte Mami sehr viel Stress. Da war grosser Wäschetag, Gartenpflege – vor allem Beerigünnen – Confitüre einkochen, Sterilisieren etc. etc. So anerbot sich unser Alemannengrosspapi mit Kurtli zum Hörlifilzer zu gehen. Man sollte ja gepflegt in die Ferien fahren. Mami war erfreut, dass man ihr wenigstens diese Arbeit abnehmen konnte. Als nun aber ihr Kurtli vom Coiffeurbesuch zurückkam, war der Schrecken gross!! Die schönen blonden Locken waren alle weg!! Man hatte ihm einen Millimeterschnitt verpasst, wie die Rekruten vor dem Einrücken!!

Zum Glück sind die Haare rasch wieder nachgewachsen und sein Aussehen war wieder wie üblich. Als Entschuldigung hat Grosspapi angeführt, dass diese Radikalkur im Sommer angenehmer sei und man mit dem Coiffeurbesuch länger zu warten könne.

Ich hingegen hatte Riesenspass und das führte dazu, ihn fortan Biile zu nennen, also Gutdeutsch Beule!

Umzug

Damals: Fotokarte (vermutlich Egliseestrasse 30) aus dem Jahr 1929
Fotokarte (vermutlich Egliseestrasse 30) aus dem Jahr 1929

Im Jahr 1929 zogen wir von der Oetlingerstrasse in die Egliseestrasse Nr. 30, 1. Stock. Es war für die damaligen Verhältnisse eine Prachtswohnung. Wir hatten 4-Zimmer und eine Mansarde. Und für uns gewöhnlich Sterblichen mit dem damaligen Wohnkomfort nicht verwöhnt.

Es gab noch ein Bad mit Warmwasserboiler! Bis dahin waren wir es gewöhnt, nach dem üblichen Waschtag in der Waschküche in einem Zuber zu baden. Dies galt natürlich nur für die Kinder. Die Erwachsenen hatten Gelegenheit, die Badeanstalten aufzusuchen. Diese waren an verschiedenen Orten in der Stadt vorhanden. Wie z.B. Brausebad im Grossbasel, und an der Mattenstrasse im Kleinbasel.

Die neue Wohngegend war traumhaft! Die Strasse war nicht durchgehend, und hinter dem Haus war eine grosse Wiese mit weidenden Kühen, die dem Bauer Wiedmer gehörten. Sein Bauernhof war auch ganz in der Nähe, wo man Eier von glücklichen Hühnern kaufen konnte.

Der Milchmann kam täglich mit Ross und Wagen, um die Milch abzuliefern. Sogar die MIGROS kam von Zeit zu Zeit mit dem Verkaufswagen. Man wohnte beinahe wie auf dem Land.

Am Ende der Strasse war der Zugang zur damaligen Eglisee-Badi. Die hatte noch einen Holzverschlag und war zu den damaligen Zeiten nicht mehr zeitgemäss. So wurde also anfangs der Dreissiger Jahre das neue – inzwischen mehrmals umgebaute – EGLISEE erbaut.

Gartenfreuden

Damals Gertrud Gürtler im Garten
Gertrud Gürtler im Garten

Zu unserer Wohnung in der Egliseestrasse 30 gehörte auch ein Stück Garten hinter dem Haus, was bei unserem Mami viel Freude auslöste und sie anspornte, das Feld zu bebauen! Papi wurde dabei natürlich nicht ausgeschlossen, was bei der Gestaltung zu bewerkstelligen war. Sie war die treibende Kraft. Papi liebte eher die Gemütlichkeit und wenig Stress. Er hatte aber nicht mit dem Eifer von Mami gerechnet. So wurde ihm aufgetragen, guten Dünger zu beschaffen, damit das Grünzeug auch richtig zum Gedeihen kam.

Säckeweise wurde das Zeug angeschafft, und zuvor wurde auch das nötige Werkzeug eingekauft, wie Spaten, Schaufel, Giesskanne usw. Nun konnte man ans Werk gehen. Mit viel Elan, Schweiss und Ausdauer wurde gegraben und gedüngt. Hie und da fanden sie eine Uhrenkette oder sonstigen Krimsgrams, denn ursprünglich war es der Riehendeich, der später aufgehoben und mit Erde aufgefüllt wurde. Auf diesem Areal entstand dann die Wohnsiedlung Eglisee.

Bald war es soweit, und man konnte mit der Aussaat beginnen. Wir freuten uns schon auf den knackigen Salat, die frischen Rüebli und vor allem die Erdbeeren.

Gespannt verfolgten wir das Wachstum und das Gedeihen der so mühsam erschafften Gartenerzeugnisse. Bald sah man die grünen Spitzli, die aus dem Boden ans Licht kamen. Doch vor der erhofften Ernte, wurde geprüft, ob auch wirklich alles seine Richtigkeit hatte. Ich bin heute noch froh, dass das Ergebnis bei Mami und Papi keine Folgeschäden hatte!! Alles, was ersichtlich war, die kleinen Pflänzli und Blättlein lagen nur obenauf!

Die Wurzeln oder was noch in der Erde sein sollte, war von hungrigen Werren angefressen worden und der Pflanzplätz konnte wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden. Sie liessen darüber Gras wachsen, und Mami spezialisierte sich nur noch auf Beeri, die dann saisongerecht in den Sommerferien zum Ernten bereit waren. So hatte Mami vor Abreise in die Ferien eine Menge zu tun, denn die Himbeeren Johannisbeeren, Stachelbeeren mussten zu Confi verarbeitet werden.

Das Gemüse wurde dann wieder, wie bisher – von der Gemüsefrau, die jede Woche vorbei kam, eingekauft.

Riehemer Kirschen

Damals Maria und Albert Gürtler-Baumann mit Hund Rex
Maria und Albert Gürtler-Baumann mit Hund Rex

Im Herbst anno 1936  zogen wir von der Egliseestrasse 30 nach Riehen an den Grenzacherweg 161 in ein Reiheneinfamilienhaus, das meine Eltern nach dem Tod vom Markgräfler-Grosspapa erstanden haben.

Ich war derzeit noch in Vevey im Pensionat und war deshalb neugierig auf mein neues Zuhause. Im Besonderen auch deshalb, weil wir noch «Familienzuwachs» erhalten haben. Das neue Familienmitglied hiess Rex und war ein Airedale-Terrier!!

Unser Garten grenzte an ein Landstück mit Kirschbäumen, sodass wir in der Erntezeit vor Haus uns mit dieser köstlichen Frucht eindecken konnten. Mami erstand immer mehrere Kilos, die sie dann – was nach unserem Naschen noch davon übrig blieb – sterilisierte. Private Tiefkühlfächer gab es ja zu jener Zeit noch nicht.

Schulzeit

Damals: Klassenfoto ca. 1930, Schulhaus unbekannt (ev. Rheinschulhaus in Basel)
Klassenfoto ca. 1930

Die obligatorische Schulzeit schloss ich nach acht Jahren mit der Realschule ab. Anschliessend absolvierte ich während zwei Jahren die Kantonale Handelsschule in der Kanonengasse. Ich erinnere mich gerne an jene Zeit. Die Schulstunden waren interessant und auch die Mitschülerinnen waren kollegial und im Umgang sehr angenehm. Mit mir in der Klasse waren noch zwei Schulfreundinnen aus der Realschulzeit, sodass ich mich leicht in das neue Schulleben einfinden konnte.

Meine beiden Freundinnen, Susy Schweigler und Margrit Küenzi, Gizzi genannt, und ich hatten den gleichen Heimweg. Ich wohnte damals noch in der Egliseestrasse und die beiden andern im Hirzbrunnenquartier. Den Heimweg gestalteten wir immer spannend. Wir besuchten die Altstadt, erfreuten uns an den heimeligen Gässlein und alten Häusern und wähnten uns manchmal in jene Zeit zurück, als dies alles entstanden ist.

Die Sportnachmittage wurden damals auf der Luftmatte abgehalten, dort wo später das heutige Wirtschaftsgymnasium gebaut wurde.

Nach dem Abschluss der Handelsschule war es schwer, eine Stelle zu finden. Es herrschte Arbeitslosigkeit, besonders im kaufmännischen Beruf, und so beschlossen Mami und Papi, mich in ein Pensionat im Welschland zu stecken, um die französische Sprache gründlicher zu erlernen.

Nach neun Monaten hatte ich aber Heimweh, sodass ich den Welschlandaufenthalt vorzeitig abbrach. Um aber die Zeit nicht unnütz vorbei gehen zu lassen, besuchte ich dann die Privathandelsschule Huber in der Freien Strasse, um mich weiter zu bilden und für Handelskorrespondenz zu spezialisieren.

Niggi Näggi

Damals: St. Nikolaus im Jahr 1930
St. Nikolaus im Jahr 1930

Wie bei vielen andern Familien, kam der Niggi Näggi auch bei uns vorbei. Fiebrig, voller Neugier und mit etwas Schiss sahen wir dem 6. Dezember entgegen. Da der Weg aus dem Schwarzwald doch ziemlich weit war, mussten wir bis am Abend auf sein Kommen warten. Aufgeregt standen wir beim Eindämmern am Fenster, um seine Ankunft nicht zu verpassen.

Unser Niggi Näggi war aber kein gewöhnlicher Nikolaus, der zu Fuss und mit einem Esel die Kinder besuchte. Unser Niggi Näggi kam mit einer von einem Pferd gezogenen Droschke in Begleitung von Knecht Ruprecht und einem Mohr. Der Niggi Näggi trug einen purpurroten Mantel mit Kapuze und in den Händen einen goldenen Stab. Knecht Ruprecht war bescheidener, er war nur mit einem braunen Kapuzenmantel bekleidet. Er trug die Rute und der Mohr schleppte den Sack mit den Nüssen und sonstigen Geschenkli.

Unser Respekt vor diesen Erscheinungen war enorm, und wir vergassen dabei ein klein wenig den Schiss. Da wir uns aber tüchtig auf diesen Besuch vorbereitet hatten und die Versli völlig fehlerlos vortragen konnten, stand der Bescherung nichts mehr im Wege.

Damals: vermutlich Maria Gürtler-Baumann verkleidet als Mann
Auf dem Bild vermutlich Maria Gürtler-Baumann verkleidet als Mann

Es war mir aber auch bald klar, dass diese Figuren gewöhnliche Menschen waren, die mir sehr bekannt vorkamen. Der St. Nikolaus war im gewöhnlichen Leben ein Freund von Papi, der geschäftlich mit einer Kostümfabrik in Verbindung stand und deshalb die Möglichkeit hatte die tollen Kostüme zu beschaffen Der Knecht Ruprecht war während dem ganzen Auftritt sprachlos, doch sein Räuspern ähnelte zu sehr an Papis Hüsteln, und auch trug er den gleichen Siegelring an der rechten Hand!! Mein geheimes Wissen behielt ich aber lange für mich, denn ich wollte meinen Eltern doch den Spass nicht verderben.

La Romande

Damals: Gruppenfoto Mädchenpensionat «La Romande» (May Pole in english mit E.E. Phillips)
Gruppenfoto Mädchenpensionat «La Romande» (May Pole in english mit E.E. Phillips)

Man schrieb das Jahr 1935 als ich in Begleitung meiner Eltern am 1. Mai ins Welschland reiste zum Eintritt ins Mädchenpensionat La Romande in Vevey.

Es begann für mich ein ganz neuer Lebensabschnitt. Weg von zuhause und meinen Eltern und Bruder, neue Umgebung und fremde Leute, die ich noch kennen lernen musste. Doch ich wurde von der Direktion, Monsieur und Madame Lappe, herzlich empfangen und von der bereits anwesenden Mädchenschar nach genauer Begutachtung in ihren Kreis aufgenommen.

Das mir zugeteilte Zimmer teilte ich mit zwei andern Pensionärinnen, Fridel Bertschinger aus Zürich und einer Hedy, deren Familienname ich heute nicht mehr weiss. Das Teilen des Zimmers war für mich anfänglich etwas ungewohnt, doch mit der Zeit war es total OK. Wir konnten vor dem Einschlafen noch ein wenig tratschen, da um 21 Uhr Lichterlöschen angesagt war und dadurch das Lesen unmöglich machte, es sei denn, man benützte die Taschenlampe, die dann später auch sehr oft zum Zuge kam.

Die Lehrkräfte waren alle weiblich, was ja zu jener Zeit für ein Mädchenpensionat wohl angebracht und den üblichen Vorstellungen entsprach!! Es waren dies die Damen Piguet, Bécaud, Vieli und Rawyller. Speziell für den Unterricht in Englisch und Tennis war Miss Phillips zuständig.

Mme Piguet war eine zierliche und sehr soignierte Person und verstand es, die Unterrichtsstunden für uns angenehm und interessant zu gestalten. Sie war es auch, uns für Theateraufführungen zu gewinnen. So hatten wir mehrere Auftritte und Vorführungen vor Publikum, das zum Teil aus Bekannten und Freunden von Monsieur und Madame Lappe bestand. Es waren immer Lustspiele, die ein gewisser Teil von uns Pensionärinnen einstudierte und aufführte, und dies immer mit grossem Erfolg.

Für die Kostümierung waren immer die Beteiligten verantwortlich und so musste ich verschiedene Male meine Eltern um Hilfe bitten. Einmal bat ich um den Frack von Papi, da ich die Rolle eines Direktors hatte und eben auch die passende Kleidung benötigte. Es war zum Brüllen!! Das andere Mal spielte ich einen Bäcker und brauchte eine Bäckerbluse mit Haube. Man besorgte mir das Gewünschte, nur die Mütze war etwas zu gross, und so hatte ich während der Aufführung einige Mühe damit, was dann auch zum allgemeinen Gaudi führte!

Bei Mme Bécaud hatten wir Conversation, wobei wir uns dann jeweils im Park aufhielten, was immer ein ganz spezielles Ambiente darstellte und uns zum Plaudern animierte.

Mme Vieli unterrichtete in Rechnen und Buchhaltung. Dies passte auch zu ihr. Sie war eine etwas langweilige Person ohne Ausstrahlung. Dagegen hatten wir mit Mme Rawyller keine Mühe. Sie organisierte Nachttouren und liess uns in Jugendherbergen übernachten. Sie hatte auch immer Ohr für unsere Problemchen und deckte uns immer bei unsern Streichen, wie man so schön sagt, den Rücken!!

Gryffemähli

Damals: Vorbeimarsch Zunft zu Weinleuten in der Freie Strasse, Basel am 1. August 1922
Vorbeimarsch Zunft zu Weinleuten in der Freie Strasse, Basel am 1. August 1922

Unser Papi gehörte, wie auch sein Vater und sein Bruder, der Weinleutenzunft an. Als Zunftbruder und wohnhaft im Kleinbasel hatte er das Recht, am Gryffemähli, das jedes Jahr am Vogel Gryff stattfand, teilzunehmen.

Als Kinder hatten wir dann auch das grosse Glück, ganz Nahe am Geschehen zu sein, denn der letzte Tanz vom Vogel Gryff, dem Leu und dem Wild Ma wurde auf der Terrasse vom Café Spitz aufgeführt, wo sie den Obrigheiten der DREI EHRENGESELLSCHAFTEN die Referenz erwiesen. Am Essen waren nur Männer und ev. geladene Ehrengäste dabei. Damen waren nicht erwünscht. Die Zunft war eben reine Männersache, wo Frauen nichts zu tun haben!!

Dieser Anlass dauerte dann manchmal doch bis spät in die Nacht und bisweilen musste Papi seinen Vater nach Hause begleiten, denn der betagte Herr war dann nicht mehr so sattelfest.

Die Teilnehmer erhielten dann immer noch einen B’haltis in Form von Leckereien von der Confiserie Spielmann, vermutlich als Geschenk an die Gattin, damit diese ihren Mann als Zunftbruder bei seiner Heimkehr liebevoll in die Arme nimmt und ihm den Ausflug im Alleingang nicht zu sehr übel nimmt!!

So war auch einmal unser Papi auf dem Heimweg mit seiner Tüte voller Leckereien. Mami war schon längstens im Bett als ihr Göttergatte nach Hause kam. Er begrüsste sie liebevoll mit einem Kuss und wollte ihr sein Geschenk überreichen. Doch … oh Schreck … die Tüte war weg und in seiner Hand war nur noch die Schnur, womit das Paket verschnürt war!?!

Wie es damals war …

Damals: Raddampfer «Luzern» 1930 im Rhein bei Basel
Raddampfer «Luzern» 1930 im Rhein bei Basel

Wieder geht ein Jahr zu Ende, und man erinnert sich in gewissen Momenten an viel Vergangenes. Wenn ich bedenke, was sich in den vielen Jahren meines Erdendaseins verändert hat, so kann ich nur sagen, dass es trotz heutigem Fortschritt eine schöne und teilweise romantische Zeit war.

Das Telefon war in den 20iger Jahren noch nicht in jedem Haushalt. Zum Telefonieren ging man privat auf die Post, die einen dann mit dem gewünschten Teilnehmer verband. In ganz dringenden Fällen gab man Telegramme auf, die dann von einem Boten zugestellt wurden.

Damals: Wagenbachbrunnen Luzern, Jahr unbekannt
Wagenbachbrunnen Luzern, Jahr unbekannt

Taxi gab es auch nicht. Dafür hatte es Droschken, die in speziellen Fällen zum Einsatz kamen.

Ich erinnere mich noch gut daran, als ich nach der Mandeloperation, die beim Arzt in der Praxis durchgeführt wurde, mit Mami mit der Droschke nach Hause gefahren wurde. Trotz Schmerzen war ich stolzen Hauptes vor unserem Wohnhaus an der Oetlingerstrasse Nr. 27 aus dem Wagen gestiegen und spuckte das im Munde nach der Operation gestaute Blut aus.

In der Schule hatten wir kleine Pulte mit Tintenfässli, die mit Tinte gefüllt waren. Damals gab es noch keine Kuli. Man schrieb mit Bleistift oder Feder und Tinte. In der Primarschule hatten wir Schiefertafeln, die wir mit Kreide beschrieben. Die Schiefertafeln hatten einen weissen Holzrahmen, der jeweils am Samstag geschrubbt werden musste, um am Montag bei Wochenbeginn wieder sauber zu sein

Die Trämli waren damals schon grün, nur die Wagen und deren Ausstattung waren bedeutend einfacher in deren Ausführung. Die Wagenformation war folgende: Der vorderste Wagen war mit einem Motor ausgestattet und dahinter war der Anhänger. Die Türen waren während der Fahrt nicht fest verschlossen; man konnte die Türen während der Fahrt öffnen und noch vor dem Anhalten abspringen oder aufspringen, was für viele Wagemutige nicht immer gut abgelaufen ist.

Was ein besonderes Vergnügen war, bescherte uns die Tramverwaltung. Es wurden Tramwagen eingesetzt, die offen waren und deshalb «Badwännli» genannt wurden. Es war herrlich, während der Fahrt den Wind um sich blasen zum lassen und bei Fahrten in die Umgebung von Basel den Ausflug so richtig zu geniessen.

Es war auch die Zeit des «Graf Zeppelin», ein Luftschiff das in der Luft schwebte und auch über Basel zog.

Ferienzeit

Damals: Ruhepause möglicherweise Albert Gürtler-Baumann
Ruhepause, möglicherweise Albert Gürtler-Baumann

Jedes Jahr durften wir mit unseren Eltern für zweieinhalb Wochen im Sommer in die Ferien fahren. Für Papi kam nur der Sommer für die Ferien in Frage. Er liebte die Sommermonate, hatte Freude an den Blumen und den grünen Wiesen, also an allem, was die Natur zu der Zeit zu bieten hatte. Er genoss die Wärme und bei schönem Wetter die Ausflüge in leichter Bekleidung. So kam der Familienrat anfangs des Jahres zusammen, um Ferienpläne zu schmieden.Es gab allerdings nicht viel zu rätseln; es kam ja meistens nur das Berner Oberland in Frage. Als wir noch klein waren, mein Bruder und ich, verbrachten wir den Urlaub mehrere Male auf dem Belpberg in der Pension Lüthy.

Das waren noch Zeiten!! Es gab vier Mahlzeiten im Tag!! Am Morgen ein reichliches Frühstück, das Mittagessen war auch für gute Esser bestimmt. Das dazu gehörende Dessert war in der Regel mit reichlich Rahm versüsst. Um vier Uhr nachmittags gab es Tee mit frisch gebackenen Weggli und am Abend dann wieder etwas Deftiges. Es war keine Waage verfügbar, das Gewicht liess sich dann an der Kleidung erahnen. Zum Glück hatten wir Kinder genügend Gelegenheit herumzutollen, sodass wir in dieser Hinsicht keine Probleme hatten. Der Pensionspreis damals war sensationell: Für Erwachsene betrug er Fr. 5.- pro Tag und die Kinder die Hälfte.

Damals: Maria Gürtler-Baumann (auf Bank sitzend) mit Sohn Kurt und unbekannte Personen
Maria Gürtler-Baumann (auf Bank sitzend) mit Sohn Kurt und unbekannte Personen

Die nächsten Jahre war dann das KREUZ in Adelboden das Ziel. Mit den Jahren gehörten wir dort bald zum «Inventar»! Es wurde von der Familie Gempeler geführt. Dazu gehörte noch eine Metzgerei, was für den Menüplan sehr von Vorteil war. Unser beliebter Tagesausflug war dann jeweils die Engstligenalp. Ich erinnere mich noch sehr gut an jene Tour, als wir vom Gewitter überrascht wurden. Der Abstieg von der Alp war bereits etwas «feucht», es donnerte und blitzte noch bevor wir die Talsohle erreichten. Von dort aus benötigte man bis zum Dorf noch eine Stunde Fussmarsch.

Eine Fahrmöglichkeit gab es keine, sodass wir im schönsten heftigen Gewitterregen unseren Marsch fortsetzten und fadennass das Dorf erreichten. Wir sahen aus wie aus dem Wasser gezogen. Aber das störte uns nicht. Papi hatte ein Taschentuch mit vier Zipfeln auf dem Haupt und einen Stock in der Hand. Wir Kinder trugen die Rucksäcke und die ganze Familie ging fröhlich singend an den Kurgästen vorbei, die im Dorf mit Regenschirmen unterstanden und unser Grüpplein bestaunten. Im Gasthof Kreuz angekommen brachte man uns in Krügen heisses Wasser, damit wir uns frisch machen konnten. Damals war noch kein fliessendes Wasser in den Gästezimmern, sodass wir ob dieser Aufmerksamkeit überglücklich und dankbar waren.


Grundlage zur Führung eines Haushalts

Buch Susanna Müller, «Das fleissige Hausmütterchen»

Bild: Buch das «Das fleissige Hausmütterchen», Standardwerk für Frauen und erwachsene Töchter aus dem Jahr 1925
Buch das «Das fleissige Hausmütterchen», Standardwerk für Frauen und erwachsene Töchter aus dem Jahr 1925

Das Buch wurde in einem Buchantiquariat gekauft. Im Haushalt meiner Mutter war nichts dergleichen zu finden.

… Jeder Haushalt hat das Glück und die Zufriedenheit der Familie zu seinem Ziel und Endzweck. Seine Elemente sind unter allen Verhältnissen die sittlichen Eigenschaften: Tätigkeit, Ordnungsliebe, Reinlichkeit, Sparsamkeit und Frömmigkeit.

Die rechte Tätigkeit, die sich kennzeichnet dadurch, dass sie freudig und mit heiterem Sinn, unverdrossen früh und spät, beharrlich und gewissenhaft jede Arbeit bewältigt, ist ein Ergebnis der richtigen Welt- und Lebensauffassung. Diese besteht darin, dass wir aus Liebe zum Guten überall, wo wir gehen und stehen, den Nutzen zum Besten anderer im Auge haben. Solche Nutzleistung fängt bei sich im Kleinsten an. Das Bestreben, in den gegebenen Verhältnissen allen Anforderungen gerecht zu werden, weckt den Sinn für Ordnung.

Sus. Müller, Das fleissige Hausmütterchen, Zürich Verlagsbuchhandlung Albert Zeller, 1925, Seite 1
Bild: Inserat für «Maggi» im Buch «Das fleissige Hausmütterchen» von 1925
Inserat für «Maggi» im Buch «Das fleissige Hausmütterchen» von 1925

Das Badezimmer
Wenn man weiss, welch wichtige Funktionen unsere Hautporen durch ihre Schweissabsonderung für unsere Gesundheit zu erfüllen haben, lässt man es sich angelegen sein, diese Poren, die durch Staub und Hautabsonderungen verstopft werden, wieder zu öffnen, und es erscheint das Baden als eine notwendige Lebensbedingung. Diese Erkenntnis ist heutzutage fast allgemein, und so sucht man sich in Wohnungen, wo ein Badezimmer fehlt, auf verschiedene Art zu helfen.

An einem Ort wird in der Waschküche eine Badevorrichtung eingerichtet, an einem anderen in der Küche, wo dann die Wanne meist mit einer Holztafel bedeckt ist und wie ein Küchentisch verwendet wird. In Fällen aber, wo sich weder das eine noch das andere ermöglichen lässt, behilft man sich mit einem Wäschezuber oder mit einer Zinkbadewanne, in die man sich stellt und mit einem grossen Schwamm abwascht.

Sus. Müller, Das fleissige Hausmütterchen, Zürich Verlagsbuchhandlung Albert Zeller, 1925, Seite16

Das Abort
Auch hierüber möchte ich dir ein paar Worte sagen. Beziehst du eine Wohnung, in der kein Wasserklosett oder kein solches mit einer einfachen Spülung vorhanden ist, so sorge für eine gute Ventilation, damit die aufsteigenden Grubengase, die sich besonders im Sommer unangenehm bemerkbar machen, nicht auch in die Wohnung dringen. Diesen Umstand begegnet man meist auch dadurch mit Erfolg, dass man Chlorkalk durch den Abort in die Grube gibt.

Die Reinigung des Klosetts hat, wenn es sich im Badezimmer befindet, täglich, sonst ein- bis zweimal wöchentlich zu erfolgen, indem die Porzellanschüssel mit Seifen- oder Sodalauge gründlich ausgewaschen und auch der übrige Raum nach Erfordernis gereinigt wird. Vernachlässigte Klosette werden mit Salzsäure behandelt, indem diese auf einen um eine alte Stielbürste gewickelten Lappen gegossen wird.

Und dann lasse man im Abort nie zugeschnittenes Zeitungspapier oder das den hygienischen Anforderungen besser entsprechende Klosettpapier fehlen. Auch Seife und Handtuch seien an ihrem Platz, falls eine Einrichtung zum Waschen der Hände vorhanden ist.

Sus. Müller, Das fleissige Hausmütterchen, Zürich Verlagsbuchhandlung Albert Zeller, 1925, Seite 16

Diverse Links zur Autorin «Das fleissige Hausmütterchen» Susanna Müller

Bild: Screenshot Sonntagszeitung vom 10. Juni 2018
Screenshot Sonntagszeitung vom 10. Juni 2018

Tagblatt: Toggenburger Koch-Revolutionärin
Literatur & Kunst a magazine of literature + art: Das fleissige Hausmütterchen (Eine Art Kulturgeschichte der Zeit, in der unsere Grossmütter lebten.)
Gemeinde Wattwil: Susanna Müller
Ostschweizerinnen: Fleissige Hausmütterchen und das Heinrichsbader Kochbuch – Alles rund ums Kochen und um die Hauswirtschaft
Sonntagszeitung vom 10. Juni 2018: Kuchen fürs Volk